In unserem Alltag und Berufsleben geraten wir oft in unvorhersehbare Situationen. Die Rahmenbedingungen für unser Handeln können dabei von Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit beeinflusst werden (Stichwort: VUCA). Oftmals ist eine schnelle, kompetente Reaktion gefragt. Wie können wir als Individuen in solchen Momenten entspannt und professionell reagieren?
Wir haben einen neuen Lösungsansatz kennengelernt: Gesine Schulz nutzt Techniken aus dem Improvisationstheater, welche gerade in einem schnelllebigen und ungewissen Zeiten von großem Vorteil sein können. Im August 2020 hat Gesine die Teilnehmer des 33. New Work Berlin Meetups bereits in die Welt der Improvisation eingeführt. Wir möchten euch die gewonnenen Erkenntnisse nicht vorenthalten!
In diesem Interview erfährst du, wie Gesine zu ihrem Konzept Improv(e) Yourself gekommen ist, was die Kunst der Improvisation ausmacht und wie du diesen Ansatz in deine VUCA-Welt übertragen kannst.
Richard: Dein Konzept heißt Improv(e) Yourself. Wie bist du auf die Idee dafür gekommen?
Gesine: Ich spiele seit fünf Jahren Improvisationstheater. Es war immer ein Hobby, aber irgendwann habe ich festgestellt, dass die grundlegenden Techniken auch hervorragend in den Berufsalltag passen. Bei meinen regelmäßigen Workshops zu Kommunikationsformaten oder im Rahmen des Teambuildings habe ich begonnen, vermehrt Elemente aus dem Improvisationstheater zu nutzen. Das hat sehr gut funktioniert – die Idee für das Konzept war geboren.
Richard: Was macht eine(n) guten Improvisateur(in) aus? Was muss ich beim Improvisieren beachten?
Gesine: Beim Improvisieren geht es darum, mit dem Unbekannten besser umzugehen. Auf der Bühne oder im Theater weiß der Improvisateur ja nicht, was sich das Publikum als nächstes wünscht. Das bedeutet dem Instinkt zu folgen, loslassen zu können und Vertrauen zu sich selbst aufzubauen. Niemand befindet sich jedoch im luftleeren Raum, weder auf der Bühne noch im Beruf. Wir müssen uns immer auf unsere Mitstreiter und Vorgesetzte einstellen. Deshalb ist ein guter Improvisateur auf jeden Fall ein Teamplayer, der keine Ellenbogentaktik anwendet. Vielmehr nimmt er die Umstände an wie sie sind und behält das gemeinsame Ziel im Blick: Beim Impro auf der Bühne soll das Publikum Spaß haben und lachen. Im Beruf sollen das Geschäft erfolgreich sein und die Zusammenarbeit gefördert werden.
Richard: Welche Methoden nutzt du innerhalb deiner Workshops um das Improvisationstalent anzuregen ?
Gesine: Mit meinen Methoden rege ich die Teilnehmerinnen dazu an, loszulassen. Sie treten von Altbewährtem zurück und lernen, dass es okay ist, erst mal keinen Plan zu haben. Viele Menschen sind in ihren bisherigen Prozessen, Tools und Verantwortlichkeiten gefangen. Sie geraten in Hektik, wenn sie nicht wissen, was als nächstes passiert. Ich bringe ihnen bei, innere Blockaden zu enthemmen, ein positives Mindset zu adaptieren und Vertrauen zu Mitmenschen aufzubauen. Die Anregung der eigenen Kreativität spielt dabei eine wichtige Rolle. Spontanität und Schlagfertigkeit können mithilfe klassischer Improvisationsübungen tatsächlich trainiert werden. So kann jeder Mensch erlernen, auch in schwierigen Situationen Alternativen zu finden, ohne emotional an die Decke zu gehen. Die Inhalte meiner Workshops sind ganz unterschiedlich und werden je nach Zielsetzung angepasst, zum Beispiel um Teambuilding, Mitarbeiter-Onboarding oder Pitches zu verbessern.
Richard: Welche Reaktionen beobachtest du bei den Teilnehmer(inne)n während und nach den Workshops?
Gesine: In der Regel gebe ich vorab keine Infos, was genau in den Workshops passieren wird. Viele fragen natürlich, wie die Agenda aussieht, welche Methoden ich anwende und was genau passieren wird. Also suchen die Menschen erst mal den sogenannten Sicherheitsanker. Sie wollen erahnen, ob es ihnen Spaß bereiten wird und worauf sie sich einstellen müssen. Ich merke immer wieder, dass nach den ersten Übungen die anfänglichen Spannungen, Unsicherheiten und Berührungsängste verschwinden. Fehler zu machen, zum Beispiel wenn eine Regel in einem Impro-Spiel übersehen wird, ist auf einmal vollkommen okay und sogar lustig. Menschen, die sich vielleicht vorher fremd waren, wachsen ganz schnell zu einer kleinen Community zusammen. Vertrauen wird aufgebaut. Kleine Impro-Szenen entstehen. Die Teilnehmer finden schneller Anknüpfungspunkte zueinander. Im Anschluss finden tiefere Gespräche statt. Anfängliche Skeptiker werden auf einmal zu Fans der Improvisation.
Richard: In welchen Arbeitssituationen helfen dir die Techniken der Improvisation?
Gesine: Ich kann mittlerweile viel besser damit umgehen, wenn Situationen unklar sind und ich nicht weiß was passiert. Das bereits beschriebene Mindset hilft mir dabei, Stressreaktionen abzuwehren. Außerdem bin ich toleranter gegenüber anderen Meinungen. Auf der Bühne habe ich nämlich gelernt, mit dem Input meines Gegenübers oder des Publikums zu arbeiten, wenn wir gemeinsam eine Szene spielen. Egal, welche Behauptung oder Idee im Raum steht. Im Arbeitsleben kann es zum Beispiel passieren, dass ein Richtungswechsel vom Management oder dem Team beschlossen wird. Anstatt in eine kategorische Abwehrhaltung zu verfallen, kann ich dem mit Respekt und Toleranz gegenübertreten. Ein anderes Beispiel wäre eine Präsentation, in der ich plötzlich überrumpelt werde, weil eine extrem wichtige Folie fehlt. Anstatt in Panik zu verfallen, bleibe ich gelassen und gebe die Inhalte aus meiner Erinnerung mit Selbstvertrauen wieder.
Richard: Wie reagieren Menschen darauf, wenn du improvisierst?
Gesine: Normalerweise bekommt es niemand mit. Manchmal habe ich schon das Gefühl, dass ich fast zu entspannt reagiere. Mich bringt kaum etwas aus der Ruhe. Wenn ich wiederum einen guten Improvisateur vor mir habe, dann erkenne ich das Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten, die Spontanität und Schlagfertigkeit. Die Person behält einen kühlen Kopf, strahlt Urvertrauen aus und beweist viel Kreativität im Umgang mit neuen Situationen.
Richard: Welche Schritte empfiehlst du, wenn sich eine(r) unser Leser(innen) für Impro interessiert und mehr erfahren möchte?
Gesine: Zum Einstieg eignet sich der Besuch einer Impro-Show, um diese Form des Theaters erst einmal wahrzunehmen. Darüber hinaus kann jeder durch die Teilnahme an einem Workshop die grundlegenden Techniken kennenlernen und die eigene Begeisterung observieren. Es gibt viele Angebote zum Reinschnuppern, in unterschiedlichen Sprachen und Intensitäten. Bücher und Youtube-Videos geben selbstverständlich auch einen guten Einblick. Ob daraus ein neues Hobby wird, kann dann jeder für sich entscheiden.
Richard: Wie kann ich mit dir in Kontakt treten, um mehr zu erfahren?
Gesine: Du findest mich bei Linkedin und kannst auf meiner Website noch mehr über mich erfahren. Auf TikTok mache ich witzige Videos unter dem Namen @diepersonalabteilung.
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