Wenn die Tageszeiten mit dem Screen verschwimmen, unsere Kommunikation nur über Mikrophone stattfindet der Kopf brummt und müde Finger in die Tastatur tippen, dann wird aus der Überlastung (dem Overload) ein mächtiger, alles beherrschender, omnipräsenter Overlord. Die Personifizierung unserer Überlastung.

Die Digitalisierung krempelt unsere gesamte Lebenswelt um. Auch wenn das keine neue Erkenntnis ist, wird uns ihr Einfluss auf Arbeit und Privates und ihre Schlagkraft nur schleichend bewusst. Denn eigentlich sollen uns die meisten digitalen Tools entlasten und kommen dem Zeitgeist von Neuem Arbeiten nutzerfreundlich entgegen. Ist das Digitale also wirklich so gut, wie wir es uns in den letzten Jahren immer erträumt haben?

Als Kommunikationsberater, Mitgründer und Geschäftsführender Gesellschafter von Rethink sowie Mitgründer von Neuwork beschäftigt sich Markus bereits seit einigen Jahren mit existenziellen Fragen rund um neue Arbeitsformen.

Wie schaffen wir einen verantwortungsvollen und gesunden Umgang mit Tools, die wir tagtäglich in der Arbeit und Freizeit nutzen, ohne uns von ihnen stressen zu lassen? Was können wir sonst noch tun, um die Überlastung zu reduzieren?

Welche Kehrseiten sich im Moment zeigen und wie wir ihnen begegnen sollten, diskutierte das 40. New Work Berlin Meetup zusammen mit Markus Albers. Markus war schon sehr früh ein Verfechter von flexiblen Arbeitszeiten und Home Office. Sein Buch Morgen komm ich später rein – Für mehr Freiheit in der Festanstellung erschien bereits 2008. Inzwischen hat Markus auch eine andere Perspektive, wie sich in seinem Buch Digitale Erschöpfung – Wie wir die Kontrolle über unser Leben wiedergewinnen zeigt.

 

Das Neue „Normal“

Unser Bild von Arbeit ist eine soziale Konstruktion, und die hat sich pandemiebedingt gewaltig verändert in den letzten anderthalb Jahren. Nach der ersten Schockwelle scheinen wir nun in wieder mit den Füßen auf dem Boden angekommen zu sein. Unternehmen jeder Art planen jetzt fleißig für die Zeit nach Corona. Sie haben ihre kritischen Vorbehalte überdacht und unterstützen nun die Arbeit im Homeoffice, anstatt sie zu blockieren. Mobiles Arbeiten hat einen großen Durchbruch erfahren und daran wird sich nicht viel ändern, wenn die Pandemie vorbei ist. Die Vorteile liegen auf der Hand: eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, weniger überflüssige Business-Trips und ein Zeitgewinn durch den Wegfall von Arbeitswegen. Das zeigt sich auf den Führungsetagen genauso wie bei den Angestellten. Werden Letztere gefragt, so fühlen sich laut einer DAK Studie von 2020 mehr als die Hälfte (56%) produktiver im Home Office. 

Um unsere Zusammenarbeit und Projekte dabei weiterhin zu realisieren, greifen wir auf digitalen Support zurück. Tools unterstützen uns in kreativer Zusammenarbeit und konstruktiver Kommunikation, überbrücken scheinbar mühelos Zeit und Raum, sorgen für Transparenz, Selbstbestimmung und Informiertheit. 

Mit der Digitalisierung geht auch das Konzept von New Work Hand in Hand. Das zeigt der Blick in den Rückspiegel auf die letzten Monate: New Work wird Mainstream. Aber ist jetzt alles gut so? Markus Albers lenkt mit dieser provokativen Frage den Fokus auf die Schattenseiten des digitalen Arbeitens: Aktuelle Zahlen zeigen neben der Akzeptanz dieser ganzen Veränderung die Belastungen, denen sich Arbeitnehmer:innen ausgesetzt sehen. Der Arbeitsort hat sich ins Private verschoben und mit ihm auch die klare Trennung zwischen Job und Privatleben – räumlich und zeitlich. Es löst Stress aus, permanent auf stand-by zu sein. Digitale Erschöpfung erreicht uns inzwischen alle und wird sich langfristig auf unsere Gesundheit auswirken. Das bescheinigt uns nun auch schwarz auf weiß die aktuelle Studie zu Zoom Exhaustion and Fatigue der Stanford University,  und bietet  quantitative Daten zum Einfluss von Videokonferenzen auf Teilnehmende.

Überlastungen sind oftmals das Resultat aus einer Vermischung der neuen und alten Arbeitswelt.

 

Drei Perspektiven auf die Überlastung

Um diesen Phänomenen mit Lösungen zu begegnen, schlägt Markus Albers die Problemanalyse und Lösungssuche in drei Dimensionen vor:

  • Bricks: der Raum, der tatsächliche physikalische Arbeitsplatz
  • Bytes: das Digitale, also die verwendeten Werkzeuge und Daten
  • Behavior: die Unternehmenskultur, wie Arbeit gelebt wird

 

Bricks – der Raum

Worum geht’s? Klassische Bürostrukturen mit der Aneinanderreihung von Einzelräumen gehören bald der Vergangenheit an. Offene Bürosituationen hingegen führen zu mehr Unterbrechungen, Stress, Konzentrationsschwierigkeiten und Motivationsverlust. Wie sollen also die zukünftigen Workspaces aussehen? Welche Funktionen müssen sie erfüllen? 

Was tun? Die wichtigste Frage wird bei der Konzeption von neuen Arbeitsräumen nicht oft genug gestellt: Müssen wir überhaupt wieder zu derselben Präsenzkultur zurückkehren, oder geht das auch anders? Ein kurzer Blick auf die momentane Arbeitsrealität zeigt deutlich, dass wir digital nach wie vor im selben Schema unterwegs sind wie vor der Pandemie. Dabei verbringen wir deutlich mehr Arbeitszeit in synchronen Meetings zu Abstimmungen und Besprechungen, als tatsächlich effektive Schaffenszeit zu haben. 

Es ist wichtig, neu auszuhandeln, wann gemeinsames Arbeiten in welcher Form sinnvoll ist. Das haben wir bereits auf unserem Meetup zum Thema Future of Workspaces thematisiert. To be (there) or not to be (there) ist hier die zentrale Fragestellung. Wir sollten dafür Arbeitsorte überdenken und Räume schaffen, die für verschiedene Zwecke entworfen sind: Kollaboration, Action, Rückzug, Entspannung. Dazu gehört, dass diese Orte auch aktiv eingebunden und genutzt werden. Eine einsprechende Wellbeing-Kultur, die weit über das Bereitstellen eines Kickertischs geht, wäre sehr wünschenswert. 

In Räumen, die für Fokusarbeit genutzt werden, sollten wir die Lärmbelästigung mindern. In Telefonzellen oder kleinen Meetingräumen kann laut geredet werden, während es in anderen Räume eher ruhig bleiben sollte. Jeder Mensch, der schon einmal in einem Shared Office gearbeitet hat, kennt dieses Thema nur zu gut. Zu einem stressfreien und gesunden Arbeitsplatz gehört ebenso ein Lüftungskonzept, das idealerweise bereits architektonisch durchdacht wurde.

Um den Mitarbeitenden auch weiterhin ein gewisses Maß an Freiheit zu bieten oder Wege zu sparen, können Räumlichkeiten außerhalb des Headquarters genutzt werden, wie z.B. Co-Working Spaces oder Satellite Offices.

 

Bytes – das Digitale

Worum geht’s? Neues Arbeiten stellt das Kollaborative sehr in den Vordergrund. Das wird durch unzählige Tools digital unterstützt. Aber eine Überbetonung wird sichtbar: Wissensarbeiter verbringen 70-85 % ihrer Zeit mit Meetings, Calls, Mails und Kollaborations-Apps. Das macht deutlich – es bleibt zu wenig Zeit für das konzentrierte intensive Abarbeiten von Fokusaufgaben.

Was tun? Wir können Raum und Zeit trennen, und zwar durch zeitlich versetzte Kommunikation. Chats sind ein populäres Beispiel. Durch die asynchrone Nutzung digitale Kanäle werden tatsächlich mehr störungsfreie Zeiten geschaffen und ent passend auch ein respektvoller Umgang mit Ressourcen gefördert. Slack & Co machen es vor: Mit der richtigen Nutzung und Anpassung geben uns digitale Tools die Möglichkeit, unsere individuelle Freiheit zu vergrößern. Aber offene, zeitlich versetzte Kommunikation hat natürlich ihre Nachteile, vor allem wenn man sofort eine dringende Antwort auf eine Frage braucht. Führungskräfte nehmen hier gerne mal den kurzen Weg der direkten Kommunikation, beispielsweise indem sie ihre Kollegen anrufen. Dadurch werden die Mitarbeiter:innen allerdings schnell aus dem Workflow gebracht.

Markus empfiehlt, den digitalen Werkzeugkoffer regelmäßig zu checken, um die Frage zu beantworten: Was brauchen wir wirklich? Im Meetup haben wir Elemente der digitalen Arbeit zusammengetragen, die wir behalten, hinzufügen oder abschaffen sollten:

Behalten sollten wir Tools, die Menschen über verschiedene Standorte miteinander vernetzen. Hinzufügen sollten wir Ruhezeiten, die klar kommuniziert und in der Unternehmenskultur verankert sind. Dadurch soll Ablenkung durch die ständige digitale Erreichbarkeit vermieden werden. Wir empfehlen außerdem, bei jeder Frage an Kolleg:innen den Zeitraum anzugeben, in dem eine Antwort gewünscht ist. Virtuelle Meetings sollten stets ein Ziel haben und klar strukturiert sein, sodass beispielsweise am Ende immer Zeit für eine Zusammenfassung und Validierung der Ergebnisse bleibt. Mit einer größer werdenden Anzahl an Tools sollte klar definiert werden, welche Tools wofür für welchen Zweck genutzt werden, und wo Entscheidungen oder wichtige Materialien dokumentiert sind. Abschaffen sollten wir unnötige Notifikationen und Kommunikationsformen, die keinen echten Mehrwert bringen, weil sie ziellos und inflationär genutzt werden. 

 

Behavior – die Unternehmenskultur

Worum geht’s? Das alles erfordert natürlich eine entsprechende New-Work-Kultur mit klugen Konzepten. Die Umstellung auf verteiltes Arbeiten macht Work-Life-Balance zum Work-Life-Blending. Das wiederum hat den Trend zum entgrenzten Arbeiten leider verstärkt, weil Arbeit und Privates zeitlich verschmelzen. Feste Zeiten wirken unflexibel, Feierabend ist altmodisch. Es fehlt an Selbstreflexion und Kritik. Zu viel Screentime und Zeitverschwendung mit unwichtigen Aufgaben sind die Folge.

Was tun? Das Ziehen von Grenzen unterstützt uns dabei, stressige Zeiten zu durchstehen und Ruhe sowie Resilienz aufzubauen. Durch diese Regeln können Unternehmen ihre Mitarbeiter in der Virtual-First-Umgebung in Sachen Wellbeing, Achtsamkeit, Zeitmanagement und Kommunikation unterstützen. 

Die grundlegenden Vorstellungen für eine wertschätzende und zielführende Kommunikation sollte in jedem Unternehmen dazu erst einmal diskutiert und dokumentiert werden. Dabei steht die Frage Wie wollen wir miteinander interagieren und miteinander umgehen? im Mittelpunkt. Auf dieser Basis sollten dann in erster Linie Kommunikationsregeln aufgestellt werden. Diese können als unternehmensweite Regeln und zusätzlich individuell für jeden selbst etabliert werden. Ein Beispiel wären Kernzeiten der Erreichbarkeit für alle Mitarbeitenden, die durch individuelle Verfügbarkeiten ergänzt werden. Auch die Meeting-Kultur sollte sich verändern: Statt in einem Treffen fachliche Fragen und gleichzeitig zwischenmenschliche Spannungen zu verhandeln und damit inhaltlich bis zur Überanspannung zu verdichten, empfehlen wir einen klaren Fokus. Die Länge, das Setting und die Form kann hierbei von den Inhalten und Zielen abhängig gemacht werden. 

 

Eine sorgfältige Planung kann viel Stress und Hektik ersparen. Foto von Freepik.

Manager’s oder Maker’s Schedule? 

Wie arbeite ich selbst eigentlich? Ein Blick in den Kalender bringt Aufschluss, wie wir unsere Zeit verbringen. Unterscheiden lässt sich das in zwei (extreme) Typen von Kalendern – den eines Managers und den eines Machers:

Im Manager’s Schedule sehen wir viele kurze, schnelle Termine nacheinander, was für Führungskräfte gut funktionieren, die kurz etwas besprechen oder entscheiden müssen. Im Maker’s Schedule gibt es hingegen klar strukturierte Aufgabenbereiche, wiederkehrender Tagesabläufe und Blöcke für konzentriertes Arbeiten.

 

Unser Fazit

Inzwischen sind auch in großen Firmen die Themen Achtsamkeit und Mindfulness angekommen. Und auch gesellschaftlich entwickeln sich neue Kulturtechniken im Umgang mit den digitalem Werkzeug, sowohl im Privatleben als auch in der Arbeitswelt. Technische Entwicklungen sind enorm – es verändert sich viel und es verändert sich schnell. Genau jetzt machen wir uns deshalb Gedanken darüber, in welche Richtung wir die digitale Kultur entwickeln wollen. Wir möchten aktiv gestalten, wie wir zukünftig arbeiten und leben. Mit der Betrachtung von Bricks, Bytes und Behavior wird das jedem Individuum und Unternehmen gelingen. Dazu bedarf es einer kritischen Analyse der drei Perspektiven aus Sicht jeder einzelnen Person und mit Blick auf die Gesamtorganisation. Außerdem verlangt ein gesundes Leben in der digitalen Welt sehr viel Selbstdisziplin. Wenn wir aktiv mit den Problemen und Chancen der digitalen Transformation umgehen, können wir gemeinsam dem Overlord bald kräftig die Hand schütteln zum Abschied. Wahrscheinlich winken wir ihm aber auch noch eine Weile hinterher, bis er hinter dem Horizont verschwindet.

 

Titelbild Illustration: Borja Bonaque

Unsere Gastautoren

Jens Hündling – Foto von studioafraz.com

Jens Hündling ist freier Trainer und Coach für digitale Transformation und New Work. Als ehemalige IT-Führungskraft kommuniziert er lieber mit Menschen als mit Maschinen und entwickelt leidenschaftlich Teams und Organisationen. Vor allem mit ostfriesischem Humor. Aktuell ist Jens als Solution Architect bei CoachHub – The digital coaching platform unterwegs. Mehr über ihn unter https://dr-huendling.de

 

 

 

Heidi Dommaschke

Heidi Dommaschke begleitet als Trainerin, Mediatorin und Coach Menschen und Organisationen im Wandel. Besonders am Herzen liegen ihr neben Inner Work, Resilienz- und Ressourcenarbeit vor allem die Weiterentwicklung von Kommunikations- und Konfliktkompetenz. Dabei treibt sie die Frage um, wie wir leben und arbeiten wollen und wie wir die Umgebung dazu aktiv mitgestalten können. www.hundred-ways.com

 

 

 

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